Glutamat – Würze mit Risiko?

Glutamat ist in vielen Halbfertig- und Fertigprodukten (Convenience-Produkten) zu finden. Es unterstützt den Eigengeschmack von Speisen und wird in dieser Funktion gerne industriell verarbeiteten Lebensmitteln als geschmacksverstärkender Zusatzstoff zugesetzt. Glutamat steht allerdings im Verdacht, Auslöser des so genannten China-Restaurant-Syndroms zu sein. Außerdem deuten Studien auf Zusammenhänge zwischen Glutamat und Sättigungsverhalten sowie degenerativen Nervenerkrankungen hin.

Was sagt die Wissenschaft? Wie ist der aktuelle Stand? Gibt es Alternativen für Glutamat?


Inhalt
Glutamat – Träger der Geschmacksrichtung umami
Glutamat in der Diskussion
Was bewirkt Glutamat?
Argumente der Glutamat-Kritiker häufen sich
Glutamat ist kein Diktat
Quellen


Glutamat – Träger der Geschmacksrichtung umami

Im Jahr 1907 erforschte Professor Kikunae Ikeda an der Universität in Tokio den besonderen Geschmack in Lebensmitteln wie Tomate, Käse und Fleisch, der nicht von den vier Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter und salzig erfasst werden konnte.

In seinen Experimenten mit einer traditionell in Japan verwendeten Würzbrühe aus Kombu (Seetang) gelang es ihm, Glutaminsäure als Geschmacksträger bzw. Geschmacksverstärker zu identifizieren und in kristalliner Form als Mononatriumglutamat zu extrahieren. Der bisher noch namenlosen Geschmacksrichtung gab er die Bezeichnung „umami“, die man in deutscher Übersetzung mit den Worten „wohlschmeckend“, „fleischig“ oder „würzig“ umschreiben könnte.

1923 verließ Ikeda die Universität und suchte nach Möglichkeiten, seine neu isolierte Zutat zu einem rieselfähigen, leicht wasserlöslichen Würzmittel weiter zu entwickeln.

Heute ist Glutamat in asiatischen Ländern zum gängigen Tischgewürz geworden und wird in China-Restaurants als Standardgewürz eingesetzt.

Die Lebensmittelindustrie bedient sich seit Jahrzehnten weltweit der geschmacksverstärkenden Wirkung des Zusatzstoffes Glutamat und versucht damit das Aroma von Tütensuppen, Gewürzmischungen, Salat- und Würzsoßen, Fertig- und Tiefkühlgerichten sowie Knabberartikeln aufzupeppen.
Neben Glutaminsäure (E 620) und ihren Salzen, den Glutamaten (E 621 – E 625), vermitteln auch einige Ribonukleotide wie Guanylat, Inosinat und andere (E 626 – E 635) den Umami-Geschmack und werden alternativ oder in Mischungen mit Mononatriumglutamat als Geschmacksverstärker eingesetzt. Dies hat sich auf dem Markt als Erfolgsrezept erwiesen und vielfach die Geschmäcker besonders der jüngeren Generationen geprägt.


Glutamat in der Diskussion

1968 kam Glutamat erstmals in Verruf. Vornehmlich unter Amerikanern und Europäern traten häufig nach einem China-Restaurant-Besuch Symptome auf wie Schwächegefühl, Kribbeln oder Taubheit in Rücken, Armen, Nacken, starkes Herzklopfen oder Migräneanfälle. Dieses so genannte „China-Restaurant-Syndrom“ gab Anlass zu mehreren Studien und Blindversuchen, bei denen getestet wurde, ob ein Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der Glutatmat-Aufnahme besteht. Im Ergebnis waren lediglich bei extrem hohen Mengen (3 bis 5 Gramm) auf nüchternen Magen Unverträglichkeiten aufgetreten. Aufgrund der Einzelfälle galten die Erhebungen statistisch als nicht sicher.

Seither haben zahlreiche internationale Expertengremien, wie das Joint FAO/WHO Expert Committee on Food Additives (JECFA) und der Wissenschaftliche Lebensmittelausschuss der EU-Kommission (SCF) Glutamat gesundheitlich bewertet und als unbedenklich eingestuft. Ein ADI-Wert, der die auf Lebenszeit täglich duldbare Aufnahmemenge ("acceptable daily intake") angibt, wurde für Glutamat nicht festgelegt.

Im Verlauf der Jahre wurde Glutamat mit immer neuen Vorbehalten konfrontiert. Verdächtigungen, dass der Geschmacksverstärker Sättigungssignale verhindern oder zu verschiedenen Nervenerkrankungen führen könnte, wurden mit wissenschaftlichen Studien bisher immer entkräftet. Seit einiger Zeit scheint aber die wissenschaftliche Argumentation zu bröckeln.


Was bewirkt Glutamat?

Glutaminsäure bzw. die Glutamate kommen natürlicherweise in vielen Lebensmitteln wie z. B. Sojasoße, reifen Tomaten, Bohnen, Käse und Fleisch vor. Verantwortlich für eine geschmacksverstärkende Wirkung in Lebensmitteln ist die freie Glutaminsäure, die nicht in Eiweißen gebunden ist.
In Deutschland wird die tägliche Aufnahme von Glutaminsäure auf 8 bis 12 Gramm geschätzt, meist in eiweißgebundener Form. Etwa 1 Gramm davon wird als freie Glutaminsäure aus natürlichen Lebensmitteln aufgenommen, etwa ½ Gramm als geschmacksverstärkender Lebensmittelzusatzstoff. Wohlgemerkt handelt es sich dabei um einen Durchschnittswert. Bei bevorzugter Ernährung mit fertig gewürzten Convenience-Produkten kann die Glutamatzufuhr erheblich höher liegen.

Der menschliche Körper bildet selbst auch Glutaminsäure, die in unserem Organismus zahlreiche Funktionen ausübt. Sie ist eine wichtige Energiequelle für die Darmschleimhaut und Muskulatur. Andere nicht essentielle Aminosäuren werden zum Transport über den Blutkreislauf zum Teil in Glutaminsäure umgewandelt und am Zielort dann wieder zurückverwandelt. Dadurch kann es zeitweise zu erheblichen Konzentrationsschwankungen im Blutbild kommen.

Im Zentralnervensystem dient Glutaminsäure als wichtiger erregender Neurotransmitter, der für das Gedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit, für Schmerzempfindungen und für die Appetitsteuerung wesentlich ist. Die Zellen des Gehirns produzieren die benötigte Glutaminsäure selbst.
Andererseits ist Glutaminsäure aber auch am Absterben von Nervenzellen aktiv beteiligt. Bei vielen neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, Demenz, Parkinson und Epilepsie ist im Gehirn eine erhöhte Konzentration von Glutaminsäure zu entdecken. Diese bewirkt ein vermehrtes Absterben von Gehirnzellen. In Alzheimer-Medikamenten werden zum Teil Wirkstoffe eingesetzt, die die Glutaminsäure-Rezeptoren blockieren sollen.
Dieser augenscheinlich direkte Zusammenhang lässt jedoch noch keine Schlussfolgerungen zu. Es gilt als unklar, ob Glutamat die Krankheiten kausal bewirkt oder ob der Glutaminsäurespiegel erst durch Krankheiten wie Alzheimer und Demenz ansteigt.

Die Wissenschaft geht bisher davon aus, dass Glutamat die sogenannte Blut-Hirnschranke nicht passieren kann, da Studien zufolge eine glutamatreiche Ernährung nicht zu einer erhöhten Glutaminsäurekonzentration im Gehirn führt.
Mit diesem Argument stehen nationale und internationale Gremien auf dem offiziellen Standpunkt, dass alle Hinweise nicht belegt werden können, die Glutamat in einen Zusammenhang mit Nervenerkrankungen oder mit Beeinträchtigungen des Sättigungsgefühls stellen.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) verweist ebenfalls auf die internationalen Expertengremien FAO/WHO und SCF und formuliert vorsichtig: „Bei Einhaltung der Kennzeichnungsvorschriften hat das BfR keine Bedenken gegen die gelegentliche Verwendung geringer Mengen Glutamat in der Zubereitung von Speisen, zumal die Verbindung auch natürlicherweise in Lebensmitteln vorkommt.“


Argumente der Glutamat-Kritiker häufen sich

Kritiker bezweifeln, dass die Blut-Hirnschranke immer hundertprozentig dicht ist. Verdacht besteht insbesondere bei sehr hoher Glutamatzufuhr oder bei Erkrankungen wie Hirnhautentzündung, verschiedenen Infektionen, Epilepsie und schweren Schädel-Hirn-Traumata. Der Alzheimer-Forscher Professor Konrad Beyreuther am Zentrum für Molekulare Biologie der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg sowie Staatsrat für Lebens- und Gesundheitsschutz hält Glutamat für ein Nervengift und glaubt an einen möglichen Zusammenhang von Glutamat und den Krankheiten Alzheimer oder Parkinson.

Auch andere Wissenschaftler konnten in Tierversuchen feststellen, dass sehr große Mengen Glutaminsäure in verschiedenen Gehirnregionen zu zerstörenden Effekten führten. Sie schließen daraus, dass eine Beeinträchtigung des Gehirns durch Glutamat aufgrund der Blut-Hirnschranke bei gesunden Menschen selbst bei hohen Dosen vielleicht noch unwahrscheinlich erscheint, dass aber bei Menschen mit einer Störung des Gehirnstoffwechsels eine Schädigung zumindest denkbar ist.

Eine Reihe von Studien befasst sich mit der möglichen Auswirkung von Glutamat auf das Essverhalten.
Prof. Michael Hermanussen und sein Team an der Kieler Universität beobachteten 2006 in einem Versuch Ratten, denen hohe Dosen von Glutamat verabreicht wurden. Ihre Nahrungsaufnahme verdoppelte sich. Nach 30 wie auch nach 90 Tagen hatten jene mit Glutamat gefütterten Ratten doppelt so viel gefressen wie die die Kontrollgruppe. Bei trächtigen Ratten war auch der Nachwuchs gefräßiger.
Hier stellt sich die Frage, ob es nicht nur Lecks in der Blut-Hirnschranke geben könnte, sondern bei Schwangeren auch in der Plazentaschranke.

Der chinesische Wissenschaftler Dr. Ka He von der Chapel Hill School of Public Health der Universität North Carolina ermittelte in einer Studie mit chinesischen Testessern, dass bei steigender Glutamatzufuhr auch der Body-Mass-Indix anstieg.

Ähnlich untersuchte 2009 Lucy F Donaldson von der Universität Bristol, UK, die Glutamataufnahme bei Übergewichtigen, die im Vergleich zu Normalgewichtigen tatsächlich höher lag. Auch die Ernährungsforscherin France Bellisle vom Centre National de la Recherche Scientifique in Paris beobachtete 1999 bei jungen Menschen, denen Glutamat ins Essen beigemischt war, dass sie im Vergleich zur Kontrollgruppe schneller das Essen hinunterschlangen. Sie kauten und schluckten schneller und machten zwischen zwei Bissen und auch zwischen zwei Mahlzeiten kürzere Pausen.

Weitere, von einander unabhängige Studien lassen vermuten: Sollte Glutamat tatsächlich die Blut-Hirnschranke überwinden, könnte es die Rezeptoren für das Sättigungshormon Leptin blockieren und somit Sättigungssignale verhindern. Wissenschaftlich belegt ist diese These nicht. Aber die Hinweise, dass ein hoher Glutamat-Verzehr doch bedenklich sein könnte, verdichten sich.
Auch wenn Wissenschaftler bemängeln, dass es keine ausreichend repräsentativen Studien über negative Wirkungen des Glutamats gibt, so sollte man den Geschmacksverstärker im Zweifelsfall nicht verharmlosen. Man bedenke: Empirisch wurde das China-Restaurant-Syndrom nie bewiesen. Trotzdem ist es Fakt, dass Einzelne ganz sensibel auf Glutamat reagieren.

Unabhängig von gesundheitlichen Aspekten gibt es auch kulinarische Gründe, auf Glutamat gewürzte Convenience-Produkte zu verzichten: Wer häufig „geschmacksverstärkte“ Lebensmittel verzehrt, verliert die Sensibilität für die feinen Nuancen der unterschiedlichen natürlichen Lebensmittelaromen.


Glutamat ist kein Diktat

Verbraucher sollten grundsätzlich selbst entscheiden können, ob sie mit ihrer Nahrung Glutamat oder andere, ähnlich wirkende Geschmacksverstärker aufnehmen möchten oder nicht.
Die Voraussetzung hierzu hat der Gesetzgeber geschaffen, indem er auf Verpackungen die Auflistung von Geschmacksverstärkern namentlich oder als E-Nummer vorschreibt. Doch die Verordnung lässt Lücken. So bilden sich zum Beispiel in „Hefeextrakten“ ebenfalls freie Glutaminsäure bzw. Glutamate. Da das Glutamat im Hefeextrakt nicht in isolierter Form vorliegt, muss es nicht als „Geschmacksverstärker“ in der Zutatenliste gekennzeichnet werden. Die geschmacksverstärkende Wirkung ist aber die gleiche.

Wer Glutamat & Co umgehen möchte, sollte Lebensmittel auf jeden Fall frisch zubereiten. Einen intensiven Geschmack in Suppen und Soßen erreicht man zum Beispiel durch das Mitgaren von Zwiebeln und Wurzelgemüse wie Sellerie und Petersilienwurzel. Kräuter wie Liebstöckel (Maggikraut), Petersilie oder Basilikum sind ebenfalls stark geschmacksgebend. Ein breites Sortiment an Gewürzen und Gewürzkräutern verleiht den Mahlzeiten eine eigene, besondere Note.


Quellen


Annette.Conrad@dlr.rlp.de     www.fze.rlp.de